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Symbol und Wirklichkeit Vortrag von Max Born in Lindau 1963 - Auszüge Symbole sind ein wesentliches Mittel des Eindringens in die Wirklichkeit, die hinter den Phänomenen verborgen liegt. In der Physik sind die mathematischen Formeln nicht Selbstzweck wie in der reinen Mathematik, sondern Symbole für irgendeine Art Wirklichkeit, die jenseits der Schicht der Erfahrung des täglichen Lebens liegt. Ich behaupte, dass diese Tatsache aufs engste mit der Frage, wie ist es möglich, dass aus subjektiven Erlebnissen objektive Erkenntnis wird, zusammenhängt. Die erste Vorschrift für naturwissenschaftliches Denken lautet: Gebrauche keine Begriffe, für die es prinzipiell nicht entscheidbar ist, ob sie im Einzelfall zutreffen oder nicht. Es scheint mir vernünftig, das Prinzip der Entscheidbarkeit auch auf das philosophische Problem der Entstehung eines objektiven Weltbildes aus den subjektiven Sinneserfahrungen anzuwenden. Die Tatsache, dass bei der Vergleichung von Paaren mitteilbare, also vom Subjekt unabhängige, objektive Aussagen möglich sind, hat eine außerordentliche Bedeutung, weil auf ihr Sprache und Schrift beruhen sowie der gewaltige Denkapparat der Mathematik. Ich möchte alle diese Verständigungsmittel zwischen Subjekten Symbole nennen. Symbole sind Träger der Verständigung zwischen Subjekten und entscheidend für die Möglichkeit objektiver Erkenntnis. Goethe sagt an einer Stelle seiner "Maximen und Reflexionen": "Es ist etwas unbekanntes Gesetzliches im Objekt, welches dem unbekannten Gesetzlichen im Subjekt entspricht." … Das Wesentliche der Mathematik aber sind nicht Zahlen, sondern ist der Gedanke der Zuordnung. Es gibt weite und fundamentale Gebiete der Mathematik, wie die Gruppentheorie, in der Zahlen nur eine unbeträchtliche Rolle spielen. In jedem Erfahrungsbereich vollzieht sich eine Zuordnung von Symbolen zu den Sinneswahrnehmungen. Im gewöhnlichen Leben bleibt es dabei; man lernt die Namen und Schriftzeichen für die wahrgenommenen Eindrücke und Empfindungen, die man im Sinne des naiven Realismus nicht weiter analysiert. So entsteht die gewöhnliche Welt des normalen Menschen und ihr Abbild in der Literatur. Sehr langsam und gegen vielen Widerspruch setzte sich die Ansicht durch, dass anschauliche Modelle nicht nötig sind, ja für den Fortschritt hinderlich seien. … Die Elementarprozesse verlaufen nicht deterministisch, sondern gemäß den spezifischen Wahrscheinlichkeitsgesetzen der Quantentheorie. Im Kleinen wie im Großen, bei den Atomen und den Sternen, stoßen wir auf Verhältnisse, die sich nicht in das gewohnte Bild unserer Umgebung fügen und sich nur durch abstrakte Begriffe beschreiben lassen. Hier ist die Frage, ob es sich dabei um eine objektive, unabhängig vom Beobachter existierende Welt handelt, nicht zu umgehen. … Der Begriff der Ursache ist ein Überbleibsel aus älteren Denkformen und wird heute ersetzt durch das Verfahren der Zuordnung, das ich beschrieben habe. Dieses Verfahren führt zu Strukturen, die mitteilbar, kontrollierbar, also objektiv sind. Man kann sie also rechtmäßig als "Dinge an sich" bezeichnen. Sie sind reine Form, bar jeder sinnlichen Qualität. Damit müssen und können wir uns begnügen. Die physikalischen Formelsysteme sind nicht an die Anschauung gebunden. Sie stellen nicht direkt Dinge der Erfahrungswelt dar, aber sie beruhen auf Erfahrung, sind aus dieser abstrahiert und werden ständig an ihr geprüft. Auch die Tatsache, dass die Theorie nur Vorhersagen über Wahrscheinlichkeiten machen kann, also nur abgestufte Erwartungen erzeugt, ist ein Verlust an Objektivität. Von unserem Standpunkt, der die Subjektivität als das Primäre und die Möglichkeit objektiver Aussagen als Problem ansieht, erscheint es nicht überraschend, dass die strenge Trennung von Subjekt und Objekt nicht mehr durchführbar ist, sobald man den reinen mathematischen Formalismus durch anschauliche Bilder zu ergänzen versucht. Wir haben ein verständiges Gleichgewicht zwischen Experiment und Theorie, zwischen sinnlicher und intellektueller Wirklichkeit, und wir müssen bedacht sein, es uns zu erhalten.
Nobelpreisträger Max Born (1882 -1970), ein Freund Albert Einsteins, begründete mit seinen Schülern Werner Heisenberg und Pascual Jordan die Theorie der atomaren Erscheinungen,
der sog. Quantenmechanik. Im Jahr 1926 fasste er Heisenbergs Forschungsergebnisse zusammen und fand heraus, dass sich Protonen und Elektronen nicht in mathematisch genau zu berechnenden Bahnen bewegen, was er mit Aufenthaltswahrscheinlichkeiten in bestimmten Bahnbereichen statistisch deutete. Albert Einstein meinte dazu: "Der liebe Gott würfelt nicht." Es folgte ein intensiver Briefwechsel über Jahrzehnte. - Im Jahr 1930 veröffentlichte Paul Dirac in Cambridge sein klassisch gewordenes Buch "Prinzipien der Quantenmechanik".
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